Wie die EU China sieht, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Seit 2019 gilt der Dreiklang, in dem China als Partner, (wirtschaftlicher) Wettbewerber und (systemischer) Rivale eingestuft wird. Aber wie sieht das offizielle China Europa? Von Chinas Regierung ist darüber wenig zu hören und zu lesen. Bislang gab es nur drei Weißbücher über die Beziehungen zwischen China und der EU. Das letzte wurde aber bereits 2018 veröffentlicht. Die Diskussionen über die EU finden stattdessen unter Thinktankern und anderen Experten statt. Diese Diskussionen zu verfolgen, schreibt Matthias Hackler, sei wichtig, um die sich verändernde Position Chinas gegenüber der EU zu verstehen.
Hackler, der an der Renmin Universität promoviert hat und derzeit im Büro des deutschen Europa-Abgeordneten Engin Eroglu (Freie Wähler) arbeitet, hat das getan und darüber soeben im EPIS Magazine einen Artikel veröffentlicht: „Shifting Paradigmas – Chinese Scholars on EU-China Relations.“ Er entdeckte dabei einen wachsenden Pessimismus der chinesischen Experten in Hinblick auf Europa. Sie konstatierten einen politischen und wirtschaftlichen Abstieg Europas.. Sie sehen eine zunehmende Polarisierung in den EU-Staaten und eine wachsende Uneinigkeit unter den EU-Staaten. Vor allem Letzteres führte zu einer gewissen Handlungsunfähigkeit.. Hackler zitiert dazu Zhang Weiwei, den Fudan-Professor für Internationale Beziehungen: „EU only talks and doesn‘t act.“ Aber auch wirtschaftlich sehen Chinas Experten die EU auf einem absteigenden Ast. Die vielen Krisen – von der globalen Finanzkrise über die Eurokrise bis zum Ukraine-Krieg – hätten Europas Wettbewerbsfähigkeit geschwächt. Deshalb hinke Europa auch bei den neuesten Technologien hinterher. Dazu ein Zitat der Expertin Y. Sun: „Its industrial structure has not seen significant optimization. This is evident in the continued consolidation of traditional strengths like machinery, chemicals, and motor vehicles, while high-tech sectors such as information technology have developed slowly, and the competitiveness of emerging industries has declined rather than improved.” Neben dem politischen und wirtschaftlichen Niedergang stellen die chinesischen Experten auch einen Verlust an Attraktivität der EU fest. Früher wäre die EU als „normative power“ anerkannt gewesen. Dem sei aber nicht mehr so.
Diesen Niedergang habe ein zunehmend ängstliches Europa erzeugt. Die Ängste hätten sich in den letzten Jahren zunehmend auf die europäisch-chinesischen Beziehungen ausgewirkt, zum Beispiel durch Handelsstreitigkeiten und Ressentiments gegen chinesische Investitionen in Europa. „Tensions in almost all areas of EU-China relations have increased“, schreibt Hackler. Vor allem die europäische Handelspolitik sei nach Ansicht der chinesischen Experten immer protektionistischer geworden. Damit sei ein bisheriges Paradigma der europäisch-chinesischen Beziehungen nicht mehr gültig, das da lautete: Die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen China und der EU sind ein Stabilisator. Aber auch das zweite Paradigma wird in Frage gestellt. Bislang galt: Es gibt keinen fundamentalen Interessenkonflikt zwischen China und der EU. Doch der Ukraine-Krieg und die engen Beziehungen Chinas zu Russland lassen dieses Paradigma obsolet erscheinen. Die EU betrachte China und Russland als „intertwined“, sagen die chinesischen Experten, was aber eine Fehleinschätzung der chinesischen Politik gegenüber Russland sei.
Die traditionelle Sichtweise, dass die Beziehungen zwischen China und der EU kooperativ und nicht-konfrontativl sei, gelte nicht mehr. Die Beziehungen hätten sich durch Europas protektionistischen Schwenk, seine strategischen Ängste und seine Ukraine-Politik verschlechtert. Die chinesischen Experten ziehen daraus den Schluss, dass Europa, nicht China für die Verschlechterung der Beziehungen verantwortlich sei. Folglich liege es auch an Europa, die Beziehungen zu China zu verbessern.
Info:
Hacklers Artikel im EPIS Magazine: https://www.epis-thinktank.com/_files/ugd/341d72_1b917523f5cd45e6bf6c0e4b70d9bc9e.pdf
Und hier in seinem Blog in modifizierter Form: https://crosspurposes.substack.com/p/on-shifting-paradigms-in-eu-china