WIRTSCHAFT I Was Chinas Tech-Elite liest

Einen interessanten Ansatz, um herauszufinden, wie Chinas Tech-Elite tickt, hat die Autorin Afra Wang gewählt. Die Herausgeberin des Newsletters Concurrent hat untersucht, welche Bücher die chinesischen Entrepreneure lesen. Das Ergebnis hat sie nun in der amerikanischen Zeitschrift Asterisk veröffentlicht: „The China Tech Canon“.  Wang nahm sich dabei die Liste des Amerikaners Tanner Green zum Vorbild, der im August 2024 „The Silicon Valley Canon“ veröffentlichte und darin vorstellte, was die Entrepreneure im Silicon Valley lesen, welche Autoren ihre geistigen Väter sind.

Dabei stellt sie gleich zu Beginn fest, dass „China‘s tech elite spans wider generational and ideological gaps than its Silicon Valley counterpart“. Chinas Entrepreneure unterscheiden sich also von denen im Silicon Valley, was sich in einem viel breiteren Lese-Kanon niederschlägt. Wang hat diesen Kanon in vier Kategorien unterteilt:

US-Management-Literatur:

Schon als junger Student las Lei Jun, Gründer von Xiaomi, das Buch „Fire in the Valley – The Making of  the Personal Computer“ (Paul Freiberger und Michael Swaine). Dieses Buch habe ihn elektrifiziert: „I stayed awake for days and nights in university reading it – dreaming even then of building a world class company.” Weiter auf Lei Juns Leseliste waren die Klassiker “Built to Last“ (Jim Collins), „Crossing the Chasm“ (Geoffrey Moore) und “The Lean  Startup  (Eric Ries). Wang Xing, Gründer von Meituan, griff zu Peter Thiels “Zero to One“. Die Lektüre von Robin Li (Baidu) umfasste „The Hard Thing About Hard Things“ (Ben Horowitz) und “Principles” (Ray Dalio). Über das Buch von Horowitz sagt er: “Reading it feels like reliving my own experience.“

Aber nicht nur Chinas ältere Entrepreneure lesen US-Management-Literatur. Auch die Jüngeren greifen auf sie zurück. So liest Yang Zhilin (Moonshot AI) „The Beginning of Infinity” (David Deutsch). Li Xiang (Li Auto) hat die Steve-Jobs-Trilogie durchgearbeitet. Li hat aber auch, wie seine Konkurrenten von Nio und Xpeng, die Elon-Musk-Biographie „Iron Man of Silicon Valley“ (Ashlee Vance) studiert.

WeChat-Gründer Zhang Xiaolong ordnete bei Tencent an, die Bücher des Wired-Gründers Kevin Kelly zu lesen: „Out of  Control“ and „What Technology Wants“. Kelly sei inzwischen zu einem kulturellen Phänomen in China geworden, schreibt Wang. Er hält Vorträge an Unis und bei Firmen. Soeben hat er in China sein neues Buch veröffentlicht: „2049: The Possibility of the Next 10 000 Days“. Es erscheint bislang nur auf Chinesisch, nicht auf Englisch.   

Red Canon:

In diese Kategorie fallen natürlich die Schriften von Mao Zedong. Wang schreibt: „I discovered that many companies operating in China’s gladiatorial markets turn to “The Selected Works of Mao Zedong.” Aber das sei nicht politisch zu werten, ergänzt sie, sondern es werden „nur“ Maos taktische Sprüche übernommen und in unternehmerische  Strategien umgesetzt. Zum Beispiel hat der E-Commerce-Konzern Pinduoduo in Anlehnung an die Mao-Strategie von „Encircling cities from the countryside“ erst die kleineren Städte bedient, bevor er sich in die großen Metropolen wagte. Auch den Mao-Spruch von „Serve the People“ interpretieren manche Unternehmen als eine „Customer First“-Strategie. Besonders häufig nutzt Huawei-Gründer Ren Zhengfei (81) Mao-Zitate. 

Grey Canon:

Darunter versteht Wang „a collection of texts that are opaque, ancient, yet foundational.” Dazu zählen die Analekts von Konfuzius, das Dao De Jing-Buch von Laozi sowie die Schriften des Legalisten Han Feizi. Wang: “These texts explained more about the enduring value gaps between China and the West than any management manual or policy paper.”

Moderne Literatur:

„Every man must read Jin Yong”, fordert Alibaba-Gründer Jack Ma. Jin Yong (1925-2018) ist einer der großen Wuxia-Autoren  des Landes. Der Wuxia-Romanbeschreibt chinesische Schwertkämpfer, Schlachten, Soldaten- und Reiterkämpfe, die überwiegend an historischen oder pseudohistorischen Schauplätzen spielen. Das Genre besitzt auch stark phantastische   Elemente. “Alibaba embedded Jin Yong in its corporate DNA“, schreibt Wang. So seien einige Konferenzräume des Konzerns nach Ausdrücken und Büchern von Jin Yong benannt.

Viel gelesen sind auch die Bücher des Science-Fiction-Autors Liu Cixin, dessen „Three-Body-Problem“ weltweit übersetzt wurde, darunter auch ins Deutsche. „Together, Jin Yong und Liu Cixin, gave Chinese technologists an imaginative toolkit as rich as Tolkien and Asimov had given Silicon Valley,” urteilt Afra Wang.

Info:

Der Artikel „The China Tech Canon” in Asterisk: https://asteriskmag.substack.com/p/the-china-tech-canon

Hier “The Silicon Valley Canon” von Tanner Green: https://scholars-stage.org/the-silicon-valley-canon-on-the-paideia-of-the-american-tech-elite/

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