Man weiß eigentlich wenig darüber, wie die deutschen Gewerkschaften den wirtschaftlichen und technologischen Aufstieg Chinas sehen. Wird er dort überhaupt diskutiert und wenn ja, wie? Zumindest in der IG Metall scheint es eine Diskussion zu sein. Was allerdings kein Wunder ist, denn dort sind die Arbeitnehmer zweier Branchen versammelt, die besonders vom Wettbewerber China betroffen sind – die Auto- und die Maschinenbauindustrie. Deshalb hat die Spitze der IG Metall am 13. Juni zu einer internen Konferenz in das Frankfurter Maritim Hotel geladen. Thema der Konferenz: „Deutschland im China-Schock? Antworten auf aktuelle Herausforderungen“ (erst jetzt kam ich an die Unterlagen, deshalb der verspätete Bericht darüber. Aber es ist immerhin der erste in den Medien).
Im Einladungsschreiben zu der Konferenz, die zusammen mit der Heinz-Böckler-Stiftung organisiert wurde, wurden mehrere Fragen gestellt: „Wie können sie (gemeint sind Auto- und Maschinenbauindustrie) im Wettbewerb mit chinesischen Unternehmen bestehen? Was können wir von China lernen? Sollen wir uns für Zölle einsetzen oder für chinesische Investitionen in Deutschland und Joint Ventures mit technologisch führenden chinesischen Unternehmen?“
Antworten auf diese Fragen versuchte zu Beginn der Konferenz die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner zu geben. Sie berichtete eingangs von ihrem persönlichen China-Schock, den sie 2023 auf der IAA in München erlebt habe, „und zwar, als ich mir dort die neuen Elektroautos von BYD und Leap Motors angesehen und sie ausprobiert habe.“ Ihr Urteil: „Das waren Kleinwagen für 25 000 Euro. Und auch nicht hässlich und mit allem digitalen Schnickschnack.“ Ihre Analyse ist richtig: „Lange Zeit haben wir von China eher profitiert, vor allem die Automobilindustrie und der Maschinenbau.“ Aber nun habe China genau in den Branchen aufgeholt oder überholt, in denen wir in Deutschland gut sind: Autos, Maschinen und Chemie. Nach dieser Analyse stellt Benner „fünf Thesen aus gewerkschaftlicher Sicht“ auf. „Erstens: „Wir begrüßen, dass sich China wirtschaftlich erfolgreich entwickelt.“ Zweitens: „Ja zu fairem Handel mit einem starken Handelspartner China, Nein zu einem unlauteren Wettbewerb mit Dumping-Preisen!“ Unter diesem zweiten Punkt sagt sie einen bemerkenswerten Satz: „Wir können China zu seiner konsequenten und erfolgreichen Wirtschaftspolitik nur gratulieren! Ich füge hinzu: die hätten wir auch gebraucht!“ Drittens: „Betriebs- und Konzerninteressen sind nicht automatisch gleichzusetzen mit Beschäftigten- und Gewerkschaftsinteressen.“ Viertens: „Wir Europäer müssen Europa stärker „global denken“! Und fünftens,: „Europa muss mit einer offensiven Wirtschafts- und Industriepolitik seine eigene Substanz wetterfest machen!“ Dazu fordert sie neue Förderprogramme. Sie plädiert auch für Buy-European-Anforderungen und Local-Content-Regeln. Zum Schluß geht Benner auf die bisherigen Erfahrungen mit chinesischen Investoren hierzulande ein. Deren Strategie sei oft sehr nachhaltig gewesen,lobt Benner.
Neben der Rede Benners wurde auf der Konferenz ein Hintergrund-Papier zu China diskutiert. Das 15seitige Papier wurde von Ralf Rukwid und Romy Siegert eigens für diese Konferenz erstellt. Beide Autoren arbeiten beim Hauptvorstand der IG Metall. Siegert hat China-Erfahrung. Sie war von 2013 bis 2017 für die Friedrich-Ebert-Stiftung in Beijing tätig, zuvor hatte sie an der Ruhr-Universität Bochum den Bachelor in Ostasienwissenschaften gemacht. In ihrer Analyse konzidieren die Autoren, dass das boomende China nach der Weltfinanzkrise 2008 für einen raschen Aufschwung in Deutschland gesorgt habe. China sei damals der Rettungsanker für die deutsche Industrie gewesen. Dieser sei er aber inzwischen nicht mehr, sondern ein systemischer Konkurrent. Durch eine strategisch gelenkte Industriepolitik habe China technologisch stark aufgeholt und seine Industrie modernisiert. Das gelte vor allem auch für den Maschinenbau: “Chinesische Maschinenbauer überzeugen nicht nur beim Preis, sondern holen auch bei Qualität und Lieferzeiten auf.“ Um der chinesischen Herausforderung zu begegnen, fordern sie „eine differenzierte industriepolitische Antwort, die neben europäischer Einigkeit, mehr Zukunftsinvestitionen und einer Stärkung lokaler Wertschöpfung auch effektiven Schutz vor Dumping umfasst“. Handelsschutzmaßnahmen seien dabei kein Tabu. Die Autoren denken dabei an WTO-konforme Zölle oder auch Local-Content-Regeln. Eine Kopie des chinesischen Modells lehnen die Gewerkschaftler ab: „Eine autoritäre Wende als Reaktion auf Chinas Aufstieg wäre weder politisch noch ökonomisch sinnvoll – Demokratien bieten langfristig stabilere, innovationsfreundlichere und krisenresistentere Rahmenbedingungen.“