OLD CHINA HAND I Steffen Schindler – Militärattaché, Metzger, Restaurantbesitzer

Wir schreiben das Jahr 1988. Es gab noch die DDR, und es gab noch die Nationale Volksarmee (NVA). In dieser diente damals Steffen Schindler. Er hatte bereits einige Jobs als Miliärattaché an diversen DDR-Botschaften hinter sich. Doch 1988 diente er zuhause in der Armee. Er rechnete fest damit, wieder als Attaché an die Botschaft in Kairo versetzt zu werden, als er zum Chef des Generalstabs beordert wurde. Der stellte ihm etwas seltsame Fragen. Zum Beispiel: Welche Küchen mögen Sie? Steffen antwortete: Italienisch, Indisch und Chinesisch. Daraufhin der General: Chinesisch können Sie künftig jeden Tag haben. Steffen fragte: Was soll das heißen? Der General: Sie werden nach China versetzt.

Und so landete Steffen mit einer Tupolev 154, die aufgrund ihrer geringen Reichweite dreimal zwischenlanden musste, 1989 als Militärattaché an der DDR-Botschaft in Beijing. Zu dem Zeitpunkt wusste er nicht, dass es die DDR bald nicht mehr geben wird – und er keinen Job mehr hatte. Wie es dazu kam und was danach passierte, erzählt der heute 77jährige Schindler in einem Interview der sehenswerten Serie „Living History – Stories from the Opening of China“, die von dem deutschen Filmemacher Christian Petersen-Clausen verantwortet wird. Fast eineinhalb Stunden sitzt ihm Schindler gegenüber und erzählt in einem schlichten Englisch ziemlich offen, wie sich sein Leben in China nach dem Ende der DDR weiterentwickelte, wie ein Anruf nachts um 4 Uhr im Herbst 1990 sein Leben veränderte. Da meldete sich sein algerischer Kollege (die Militärattachés in Beijing kannten sich untereinander gut), dass seine Frau ihm sagte, bei einem deutschen Fleisch-Joint-Venture sei eine Stelle frei. Er fuhr nach Niebüll, stellte sich vor und bekam den Job bei Hua An Fleisch – so hieß das Joint-Venture. So landete der Ex-Militär im Fleischer-Business, erst bei Hua An Fleisch, dann ab Mitte der 90er Jahre arbeitete für den schwerreichen Israeli Shaul Eisenberg, der ein Firmenimperium in China hatte und eine große Nummer in China war. (Über diese Zeit bei Eisenberg war bislang wenig bekannt). Als Eisenberg 1997 in Beijing starb, übernahm dessen Sohn die Geschäfte. Schindler kam mit ihm nicht so zurecht. Er wollte sich selbständig machen – mit einer Metzgerei in Beijing. Er bediente damals vor allem Expats und Hotels. Eines Abends saß er mit Kunden im Paulaner und bekam ziemlich schlechtes (deutsches) Essen serviert. „Auf dem Heimweg sagte ich mir: Das kann ich viel besser.“ Gedacht – getan. Von einem deutschen Hotelmanager erfuhr er, dass im Ritan Park ein Lokal frei werde. Klammheimlich – nicht mal seiner Frau sagte er etwas – fing er an, den Laden zu renovieren. Zum Neujahrsfest 2003 feierte er im halbfertigen Restaurant, das er „Schindlers Tankstelle“ nannte, die Eröffnung. Und dann kam Sars. Die Regierung ordnete die Schließung des Lokals an, um sie am nächsten Tag wieder zurückzunehmen. Schindler kennt die Spiele der Behörden. Er weiß, wie er mit ihnen umzugehen hat. Zudem ist er sehr gut in Beijing verdrahtet. Dem ersten Restaurant folgten weitere: „Schindlers Anlegestelle“ (2005) und „Schindlers Haltestelle“ (2008), in denen er deutsche Hausmannskost anbietet. Daneben betrieb er ein gut laufendes Catering-Geschäft. 2019 ging Schindler nach Deutschland zurück, obwohl er das eigentlich früher ausgeschlossen hat. Doch zweimal im Jahr reist er immer noch nach Beijing: „Ich muss ja das Sauerkraut und den Kartoffelbrei testen.“  

Info:

Hier das Youtube-Video mit Steffen Schindler:

https://www.youtube.com/watch?v=YjCIW5tJZdg

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