Wer Xi Jinping zumindest etwas verstehen will, sollte mehr über seinen Vater Xi Zhongxun wissen. So schrieb 2001 der Sohn an seinen damals 88-jährigen Vater: „Du hast viele wertvolle und anständige Charakterzüge, die ich erben möchte.“ Welche das sind, und ob der Sohn wirklich charakterlich seinen Vater beerbt hat, kann man nun in einem Buch nachlesen, das in diesen Tagen erscheint. Anfang Juni kommt die erste englischsprachige Biographie von Xi Zhongxun auf den Markt: „The Party’s Interests Come First: The Life of Xi Zhongxun“. Geschrieben hat das umfangreiche Werk Joseph Torigian, Associate Professor an der School of International Service an der American University. Der Titel “The Party’s Interests Come First” stand einst auf einem weißen Tuch, das Mao Zedong seinem damaligen Mitstreiter Xi Zhongxun überreichte.
Xi Zhongxun war ein Revolutionär der ersten Stunde. Schon mit zwölf Jahren trat er in den Kommunistischen Jugendverband ein, mit 15 wurde er Mitglied der KP. Er war Begründer der kommunistischen Herrschaft in Yan’an, dem Ziel des legendären Langen Marsches 1935. Dort traf er erstmals auf Mao Zedong. Es sollte ein schwieriges Verhältnis zwischen beiden werden. In den 50er Jahren stieg Xi unter Mao auf. 1956 wurde er ins Zentralkomitee der KP gewählt, 1959 wurde er stellvertretender Ministerpräsident. Aber schon drei Jahre wurde er von allen Ämtern enthoben. Mao warf ihm mangelnde Loyalität vor. Es folgten Jahre der Verbannung aufs Land. 1978 wurde er vollständig rehabilitiert und übernahm wichtige Posten. Er wurde Gouverneur der Provinz Guangdong, in der damals die ersten Sonderwirtschaftszonen (Shenzhen, Zhuhai) etabliert wurden. 1982 stieg er ins Politbüro auf. Zu der Zeit war der reformorientierte Hu Yaobang Parteichef. Als dieser 1987 abgelöst wurde, war das auch das Ende der Karriere von Xi Zhongxun. 1988 zog er sich ins Privatleben zurück, das er meist in Shenzhen verbrachte, wo seine Ehefrau noch heute leben soll.
Wenn man die Biographie von Xi Zhongxun liest, erfährt man auch viel über die Kommunistische Partei Chinas. „Xi was someone who had a front row seat to many crucial moments that are foundational for our understanding of modern China”, sagt Joseph Torigian in einem Gespräch mit National Public Radio (npr). Er arbeitete in den 50er Jahren für Ministerpräsident Zhou Enlai, in den 80ern für – wie gesagt – Parteichef Hu Yoabang. In diesen beiden Jahrzehnten sei er auch „most prominent“ gewesen. Aber beide Jahrzehnte endeten für ihn jeweils mit einer Verbannung. Aber Schickschalsschläge war Xi gewohnt: „Zhongxun was a man whose life was marked by personal tragedy“, schreibt Torigian. Als er 14 Jahre alt war, starb sein Vater, kurze Zeit später seine Mutter und seine beiden Schwestern. Außerdem: „He was almost killed on numerous occassion by enemy forces.” Doch er überlebte alles – auch die Demütigungen durch die Partei. Er blieb trotz allem stets ein loyaler Parteigänger und ertrug die Widersprüche. Er glaubte, dass die Kulturrevolution ein Desaster war, brach aber trotzdem nicht mit Mao. Er kritisierte das Tiananmen-Massaker, hielt aber trotzdem zu Hu Jintao. „Although the party betrayed Xi Zhongxun, he never betrayed the party”, schreibt Torigian. Xi selbst sagte: “I never persecuted anyone.” Torigian beschreibt ihn als “an earthy , humorous individual who often impresses people with his sincerity. He was memorably courteous and friendly toward much younger people. He could be a charmer.”
Womit wir bei der Frage wären, ob sein Sohn Xi Jinping von ihm etwas gelernt oder geerbt hat. Torigian umgeht eine Antwort. indem er sagt: „The purpose of this book is not to contrast a ‘good’ father with a ‘bad’ son.” Er wolle auch nicht durch diese Biographie eine Freudsche Analyse Xi Jinpings unternehmen. Nein, der Zweck des Buches sei ganz einfach: „It uses the life of one rather unique individual to tell the story of the Chinese Communist Party in the twentieth century.”
Das ist ihm gelungen.
Info:
Das Buch: Joseph Torigian: The Party’s Interests Come First: The Life of Xi Zhongxhun, Stanford University Press, 640 Seiten, 47.25 Euro
Hier kann man das erste Kapitel for free lesen: https://www.sup.org/books/history/partys-interests-come-first/excerpt/chapter-one
Das Interview Torigians mit ChinaFile: https://www.chinafile.com/reporting-opinion/media/chinafile-presents-partys-interests-come-first
Und hier sein Interview mit NPR: https://www.npr.org/2025/05/28/g-s1-68411/in-the-partys-interests-come-first-joseph-torigian-tries-to understand-xi-jinping-through-his-father