Die Financial Times aktualisierte am Sonntag, den 18. Mai, ihre Top-Story mit der Schlagzeile: „Global supply chains threatened by lack of Chinese rare earths – Licensing delays under new regime put at risk shipments of materials crucial for products from EVs to fighter jets“ Wan Hua Zhen musste seinen Beitrag noch am selben Tag abgeben. Doch er war sich sicher, dass deutsche Medien diese Meldung in den folgenden Tagen aufgreifen würden. Denn Deutschland dürfte davon erneut stark betroffen sein.
Ein Blick in die lange deutsche Debatte über Seltene Erden (SE) fiel sofort auf eine besonders populäre Überschrift: „Seltene Erden sind doch nicht so selten“. Seit 15 Jahren scheint kaum eine Publikation diesem Wortspiel widerstehen zu können. 15 Jahre deshalb, weil die letzte große Versorgungskrise, als China im Streit mit Japan die SE-Exporte drosselte, die Zeit um 2010/11 war. Damals wurden fast zeitgleich hierzulande zahlreiche kleine Minen von den Behörden geschlossen. Sie seien die schlimmsten Umweltverschmutzer gewesen. Dazu später mehr.
„Seltene Erden sind nicht so selten“ ist zwar faktisch korrekt, geht aber am Kern der Herausforderung für Deutschland und Europa komplett vorbei. Denn entscheidend sind nicht die Vorkommnisse von SE, sondern die Verarbeitungstechnologie und -kapazität. Das ist zugegeben stark vereinfacht formuliert. Chinas Stärke liegt einmal mehr in der kompletten Wertschöpfungskette, welche über mehr als zwei Dekaden, und zwar anfangs archaisch und später systematisch, auf- und ausgebaut wurde. Das war schon lange bekannt. Trotzdem liebten selbst große Institutionen solche Schlagzeilen wie das IW („Seltene Erden sind nicht selten“, Juni 2011), der VDI („Deutschland ist reich an Seltenen Erden“, 2018) oder die Deutsche Bank („Nicht so seltene Erden“, 2022).
Die dadurch entstandene Wahrnehmung führte immer wieder zu unhaltbaren Forderungen. Als Bundeskanzlerin Merkel im November 2013 Afrika besuchte, forderte der Hauptgeschäftsführer eines großen Industrieverbands öffentlich, sie solle sich für „freien Zugang zu Seltenen Erden“ einsetzen. Es war bezeichnend: Niemand fragte zurück – „und dann?“
In den letzten 15 Jahren finden sich zahlreiche Berichte, die spöttisch über Chinas Dominanz geschrieben haben:
– „Ärgerlich für China: Seltene Erden sind doch nicht so selten“ (manager magazin, 2014)
– „Rückblickend war das Ganze eine absolute Rohstoff-Blase“ (SZ, 2015).
Abkommen der Bundesregierung mit der Mongolei (2011) oder Kasachstan (2013) wurden gefeiert, weil sie hoffentlich China schwächen würden. Mehr als zehn Jahre später ist die SE-Abhängigkeit von China leider nur noch kritischer geworden, weil inzwischen die Anwendungsgebiete für SE erheblich ausgeweitert worden sind.
Während Europa debattierte, passierte in den USA wenigstens etwas. Mountain Pass, die größte Mine in den Vereinigten Staaten mit dem Fokus auf SE, ging in zwei Jahrzehnten zweimal pleite und gab dennoch nicht auf. 2017 kehrte sie mit neuen amerikanischen Investoren wieder zurück. Allerdings hatte sich auch ein Unternehmen aus Shanghai, Shenghe Resources eingekauft. Es sicherte sich knapp acht Prozent der neuen Gesellschaft MP Materials Corp.. Wo waren da die europäischen Investoren, da das Thema doch ebenso kritisch war?
Recherchen zeigen: Shenghe ist einer der fünf größten SE-Produzenten Chinas und seit langem der verarbeitende Partner von Mountain Pass. Ohne diese Kooperation wäre die US-Mine wirtschaftlich nicht tragbar.
Jahrelang hieß es, Chinas SE-Dominanz beruhe auf Billiglohn und laxen Umweltstandards. Über „Billiglohn“ hatte Wan Hua Zhen schon mehrmals geschrieben. Beweise für die SE-relevanten Umweltsünden in China lieferten meistens die Schließungsaktionen der chinesischen Behörden, wie 2010 und 2011. Könnte man solche Schritte nicht auch positiv sehen?
Dankbar ist Wan Hua Zhen einer Arbeitsgruppe aus Hannover, die von der BGR – Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe – unterstützt wurde. Die Gruppe führte von 2022 bis 2024 das Projekt „Sustainability Standards in the Chinese Rare Earth Supply Chain“ durch. Der online abrufbare Abschlussbericht beschreibt sachlich und detailliert den Dialog zwischen deutschen und chinesischen Fachexperten sowie Unternehmensvertretern. Man konnte zwischen den Zeilen herauslesen, dass der Prozess der Verständigung mühsam war. Ihr Fazit: Vieles ist im Aufbau; die Vergleichbarkeit mit westlichen Standards wächst. Doch Datenmenge und -qualität reichen noch nicht aus für eindeutige Bewertungen – weder pro noch contra Chinas eigener positiver Darstellung.
Das Tempo der Veränderung bleibt hoch in China. Zwischen Ende April und Anfang Mai 2025 veröffentlichten gleich vier der größten SE-Produzenten Chinas ihre neuesten ESG-Berichte (ESG: Umwelt, Sozial und Governance). Die Firmen sind: China Rare Earth Group, China Northern Rare Earth, Xiamen Tungsten und die oben bereits erwähnten Shenghe Resources aus Shanghai. Die Berichte umfassen zwischen 70 und 100 Seiten. Volumenmäßig übertreffen sie die vergleichbaren Berichte der meisten DAX-Konzerne.
Natürlich stellt sich die Frage nach der Datenqualität hinter den bunten Bildern, dasselbe gilt aber aber für den Westen. Die Tendenz zum Greenwashing ist überall auf der Welt zu beobachten. Interessant: Chinesische Blogger haben bereits firmenübergreifende Vergleiche angestellt und in sozialen Medien veröffentlicht. Ähnliche Aktivitäten, und so schnell nach den Hauptversammlungen, sind in Deutschland unbekannt.
Auch auf die „Gefahr“ hin, dass die Experten sie schon haben, wird Wan Hua Zhen die frischen ESG-Berichte an das BGR-Team schicken mit der Bitte: „Unbedingt weitermachen. Setzt ein Folgeprojekt auf, führt den Dialog fort!“
Loben, wo China Fortschritte erzielt hat. Lernen, wo es besser gemacht wurde als bei uns. Nachhaken, wo Zahlen oder Fakten zweifelhaft sind. Früher war diese ideologiefreie Zusammenarbeit die Normalität. Heute ist man sehr froh, die konstruktive, durchaus auch anstrengende Zusammenarbeit gelegentlich zu entdecken.
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