Eine neue Regierung bietet immer die Möglichkeit für Neuanfang und Kurskorrekturen. Gilt das auch für die deutsche China-Politik? Die einen fordern eine Korrektur, andere wiederum fürchten genau dies. Noch zeichnen sich keine klaren Konturen der China-Politik in der neuen Koalition ab. Es gibt nur wenige Aussagen China betreffend. Bei seiner Regierungserklärung am 14. Mai hatte Friedrich Merz eine Passage zu China eingestreut, aber er wiederholte fast nur die Worte zu China aus dem Koalitionsvertrag. In diesem wird deutlich, dass bei dem inzwischen berühmten Dreiklang – China als Partner, Wettbewerber und Rivale – letzteres überwiegt. „Wir müssen feststellen, dass die Elemente systemischer Rivalität durch Chinas Handlungen mittlerweile in den Vordergrund gerückt sind“, steht im Koalitionsvertrag.
Aber was bedeutet das in der praktischen Politik? Will Merz eine härtere Haltung gegenüber China? Von Merz sind bislang wenige Aussagen zu und über China überliefert. In seiner außenpolitischen Grundsatzrede, die er am 23. Januar vor der Körber-Stiftung in Berlin hielt, ordnete er China in die „Achse der Autokraten“ ein. Er sieht China also in einer Gruppe mit Russland, Nordkorea und dem Iran. Gleichzeitig warnte er in dieser Rede indirekt die deutschen Unternehmen, sich zu stark in China zu engagieren. Das lässt auf eine härtere Gangart gegenüber China schließen.
Vom Koalitionspartner SPD hat man zu China gar nichts gehört. Die Partei hat außenpolitisch in dieser Regierung nicht mehr viel zu sagen, nachdem sich ihr Vorsitzender und Vizekanzler Lars Klingbeil nicht für das Außenministerium, sondern für das Finanzministerium entschieden hat. Das außenpolitische Machtzentrum ist eindeutig das Kanzleramt. Merz hat bereits angekündigt, ein außenpolitischer Kanzler zu sein. Er hat dabei den Vorteil, dass seit langer Zeit mal wieder sowohl Kanzler als auch Außenminister der gleichen Partei angehören. Die Frage ist, wie stark ist Außenminister Johann Wadephul. Und wünscht sich Merz überhaupt einen starken Außenminister? Sicher ist nur, dass die Streitereien zwischen Kanzler- und Außenamt in dieser Konstellation wohl weniger werden. Wadephul sagte bei der Amtsübergabe am 7. Mai: „Denn in unserer heutigen Lage ist keine Zeit mehr für Ressort-Egoismen. Wir haben uns eine Außenpolitik aus einem Guss verschrieben.“ Für ein starkes Kanzleramt in Sachen Außenpolitik spricht auch, dass dort erstmals ein Nationaler Sicherheitsrat installiert wird.
Aber wie steht es um die China-Kompetenz in diesem neuen Machtzentrum? „Weder der neue Bundeskanzler noch sein Außenminister Johann Wadephul und seine Wirtschaftsministerin Katharine Reichel verfügen über tiefe China-Kenntnisse“, schreibt Bernd Ziesemer in einem Capital-Kommentar. Im Kanzleramt sitzt zwar mit Michael Clauss ein China-Kenner. Clauss war von 2013 bis 2018 deutscher Botschafter in China. Aber er wird Merz vor allem in europäischen Themen beraten, war er doch zuletzt Chef der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Brüssel. Es dominieren in der neuen außenpolitischen Führungsriege die Transatlantiker. Merz war jahrelang Vorsitzender der Atlantik-Brücke und arbeitete für die amerikanische Private-Equity-Firma Blackrock. Johann Wadephul ist ebenfalls bekennender Transatlantiker. Ebenso Norbert Röttgen, der nach einer gewissen Zeit in der Versenkung plötzlich als außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion wieder auftaucht. Zum Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss des Bundstages reichte es ihm nicht. Diesen bekommt der ehemalige Kanzlerkandidat Armin Laschet. Damit sind – und auch das ist eine Seltenheit – alle wichtigen außenpolitischen Posten in der Hand einer Partei.
Sie alle müssen nun gleich mehrere Beziehungen neu justieren: das Verhältnis zu den USA unter Trump, die Positionierung Deutschlands in der EU – und den Umgang mit China. Was letzteres anbetrifft, gibt es Ratschläge von außen. Sie kommen von den üblichen Stimmen aus den Berliner Thinktanks. Ob Janka Oertel (ECFR), Noah Barkin (German Marshall Fund) oder Mikko Huotari (Merics) – sie alle fordern eine mehr oder weniger härtere Gangart gegenüber China. Stellvertretend sei auf einen Artikel von Mikko Huotari in der März/April-Ausgabe der Zeitschrift Internationale Politik hingewiesen. Er fordert darin eine „Revision bisheriger Ansätze“. Sein Petitum: „Die Politik gegenüber Peking muss europäischer werden.“ Nur durch eine enge strategische Zusammenarbeit in der EU und mit Partnern weltweit könnten deutsche Interessen im Verhältnis zu China langfristig gewährt werden. Als mögliche Antwort auf die autokratische Zusammenarbeit sollten deshalb die G7 zu einer G11 (plus Australien, Indien, Südkorea und EU) ausgeweitet werden.
Ob Merz da mitzieht? Bernd Ziesemer ist in seinem Capital-Beitrag skeptisch: „Friedrich Merz fehlt das Rückgrat gegenüber China“. Deshalb bestehe aus seiner Sicht die Gefahr, „dass die Lobbyisten der deutschen Industrie und der chinesischen Staatswirtschaft weiter ihre einseitige Sichtweise durchsetzen können“. Die „Lobbyisten“ in Gestalt der deutschen Unternehmen in China haben sich schon mal zu Wort gemeldet und ihre Wünsche an die neue Regierung artikuliert. Im aktuellen Flash Survey der Auslandshandelskammer (AHK) in China wurde die Frage gestellt: „Which actions from the new German government would support your company’s (future) business in China?“ 67 Prozent antworteten: „Promote an active and informed engagement with China“, was auch immer darunter zu verstehen ist. 52 Prozent wünschten, dass die Regierung das China-Bild in Deutschland verbessere. 40 Prozent hoffen, dass sich möglichst bald Regierungsvertreter auf allen Ebenen zu Besuchen nach China aufmachen. Eine Reise von Bundeskanzler Friedrich Merz nach Beijing ist aber offenbar noch nicht terminiert.
Doch immerhin hat Außenminister Wadephul bereits mit seinem chinesischen Kollegen Wang Yi telefoniert. Am Morgen des 19. Mai kam es zu einem ersten Gespräch der beiden.
Info:
Merz-Rede bei der Körber-Stiftung: https://www.cducsu.de/themen/aussenpolitische-grundsatzrede
Koalitionsvertrag: https://www.koalitionsvertrag2025.de/
Regierungserklärung von Friedrich Merz: https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/regierungserklaerung-von-bundeskanzler-friedrich-merz-2347888
Artikel von Mikko Huotari in Internationale Politik: https://internationalepolitik.de/system/files/article_pdfs/IP_02-2025_Huotari_oB.pdf