…Dialog mit dem Drachen von Marina Rudyak. Im Juni 2024 war Marina Rudyak, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sinologie der Universität Heidelberg, nach längerer Zeit mal wieder in China. Und was fiel ihr auf? „Wie wenig doch das China, das mir in Beijing und Shanghai begegnete, mit dem China-Bild in Deutschland zu tun hatte.“ Sie entdeckte „eine Diskrepanz zwischen unserem stereotypen Bild und der von mir wahrgenommen Lebensrealität“. Die Menschen seien nicht gleichgeschaltet. Man höre nicht überall Propaganda, Und offene Gespräche mit Intellektuellen – selbst Partei-Intellektuellen – seien möglich gewesen. All diese schreibt Rudyak in ihrem Buch „Dialog mit dem Drachen“, das ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr China-Kompetenz ist, um eben dieses schiefe China-Bild zu korrigieren. Deutlich zeigt sie anhand von Beispielen die Defizite hierzulande auf. Es mangele an kritischer Dolmetscher- und Übersetzungskompetenz. Viele Dolmetscher und Übersetzer seien bereits über 50 Jahre alt, und es komme nichts nach. Im Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags gebe es „kaum China-Kompetenz“. Im 2024er Attaché-Jahrgang des Auswärtigen Amtes war unter den 80 Teilnehmern keiner mit Chinesisch-Kenntnissen. In Hessen gibt es 26 Professoren für Altphilologie und Romanistik, aber nur vier in der Sinologie. Rund 500 000 Schüler lernten Latein, aber nur 5900 Chinesisch, was Rudyak zu der ironischen Bemerkung verleitete: „Auf systemische Rivalität mit dem antiken Rom wären wir wohl besser vorbereitet als auf die mit China.“ Rudyak belässt es aber nicht nur bei der finsteren Zustandsbeschreibung, sondern klärt selber über China und vor allem seine Außenpolitik auf. Und sie postuliert im Schlusskapitel fünf Forderungen, wie man die Wissensasymmetrie abbauen kann. Unter anderem sollten Bundesregierung und Bundestag Stellen für strategische China-Analysten schaffen. Es ist ein multipler Wunsch nach mehr: Mehr Übersetzer, mehr Dolmetscher, mehr Schüler, die Chinesische lernen, mehr Forschungsinstitute und Stellen für aktuelle China-Politik. Ein wachrüttelndes Buch, das schonungslos unsere Inkompetenz in Sachen China, aber auch Auswege aus der Misere aufzeigt.
Info:
Marina Rudyak: Dialog mit dem Drachen – Wie uns strategische Empathie gegenüber China stärken kann, Campus, 240 Seiten, 28 Euro