Früher hat sich kaum ein Mensch für Taiwan, geschweige denn für die Kommunalwahlen auf der Insel interessiert. Die waren nur eine Randnotiz, wenn überhaupt. Das ist heutzutage anders. Taiwan ist aufgrund der strategischen Rivalität zwischen China und den USA in den Mittelpunkt der Weltpolitik geraten. Da rücken auch schon mal Kommunalwahlen in den Fokus. Diese fanden am 26. November statt. Das Ergebnis: Die regierende Democratic Progressive Party (DDP) verlor, die oppositionelle Kuomintang (KMT) siegte. In vier der sechs wichtigsten Städte – in Taipeh, New Taipeh, Taoyuan und Taichung – setzte sich der KMT-Kandidat durch. Die DDP verteidigte nur ihre traditionellen Hochburgen Tainan und Kaohsiung. Für die DDP ist dies eine krachende Niederlage. Als „Blutbad“ bezeichnete Courtney Donovan Smith (Taiwan News) das Ergebnis für die DDP. Deren Vorsitzende, die amtierende Regierungschefin Tsai Ing-wen, übernahm dafür die Verantwortung und trat noch am Abend des Wahltages zurück. Tsai hatte die Kommunalwahl auch zu einem Votum für Taiwans Demokratie und ihren China-Kurs gemacht. Die DDP ist um einiges kritischer gegenüber der Volksrepublik China eingestellt als die KMT. Aber ob wirklich das Verhältnis Taiwans zur Volksrepublik wahlentscheidend war, darf bezweifelt werden. Selbst die KMT glaubt nicht daran. Alexander Huang, Politikprofessor und hoher KMT-Funktionär, sagt: „This is a local election. People could primarily look at the domestic political environment, economy, the vaccine policy…” Simon Chen, Politikprofessor an der National Taiwan University, pflichtet ihm bei: ”Taiwan´s sovereignty was not an issue in this election.” Wichtiger waren Themen wie die Corona-Politik und die schwächelnde Wirtschaft. Obwohl Taiwans Corona-Politik ihm Ausland positiv gesehen wird, wird sie auf Taiwan kritisiert.
Die Beziehungen zum großen Nachbarn sind traditionell das Thema der Präsidentschaftswahlen. Die nächsten finden im Januar 2024 statt. Die amtierende Präsidentin Tsai darf dann nicht mehr antreten, weil nach zwei Amtszeiten Schluss ist. Deshalb hat das Schaulaufen um die Kandidatur in beiden großen Parteien auch mit dieser Kommunalwahl begonnen. Bei der DDP bieten sich mehrere Kandidaten an, darunter Vizepräsident Lai Ching.-te, der gegenüber China noch einen härteren Kurs verfolgt als Tsai. Auch bei der KMT ist das Rennen noch offen. Gehandelt werden der Parteivorsitzende Eric Chen und der wiedergewählte Bürgermeiste von New Taipeh, Hou Yu-ih. Doch die Kommunalwahl rückte einen ganz neuen Kandidaten ins Rampenlicht: Chiang Wan-an. Er wurde zum neuen Bürgermeister der Hauptstadt Taipeh gewählt. Der Wirtschaftsanwalt ist der Urenkel von Chiang Kai-shek, der einst den Bürgerkrieg gegen die Kommunisten verloren hatte und danach nach Taiwan geflohen ist, wo er eine Militärdiktatur errichtete. Chiang Wan-an ist der Shooting Star der KMT. Er ist noch jung und gut aussehend. Damit könnte er bei den jungen Wählern punkten, die traditionell nicht die KMT wählen. Doch sein Alter von 43 Jahren könnte ihm parteiintern zum Nachteil werden, denn in der KMT bevorzugt man ältere Semester. Aber wer weiß: Vielleicht profiliert sich Chiang in seinem neuen Amt als Taipehs Bürgermeister. Die Statistik spricht für ihn: Drei von fünf ehemaligen Präsidenten waren vorher Bürgermeister von Taipeh.
Info:
Hier zwei Links, die nichts mit den Wahlen zu tun haben, aber trotzdem für die Taiwan-Diskussion sehr interessant sind. In einer Umfrage von Foreign Affairs geben viele Experten Antworten auf die Frage: Should United States Pledge to Defend Taiwan?
https://www.foreignaffairs.com/ask-the-experts/should-united-states-pledge-defend-taiwan? Und hier berichtet der Journalist Dexter Wilkins im New Yorker über seinen Taiwan-Aufenthalt: https://www.newyorker.com/magazine/2022/11/21/a-dangerous-game-over-taiwan