GESELLSCHAFT I Häusliche Gewalt

Es war zu Beginn fast eine Story, die zu kitschig war, um wahr zu sein: Bekannte Journalistin interviewt einen Honigbauer. Sie verlieben sich und heiraten. Ma Jinyu arbeitete für mehrere bekannte Medien, unter anderem Beijing News und Southern Metropolis Daily, das investigative Blatt aus Guangzhou. Für letzteres Medium reiste sie 2010 ins Tibetische Hochland und traf dort auf Xie Decheng. Sieben Jahre waren sie verheiratet, drei Kinder entstammen der Ehe, die für Ma zunehmend zur Hölle wurde. 2018 verließ sie mit ihren Kindern ihren Mann und zog in eine andere Stadt. Von dort schrieb sie Anfang Februar auf einem WeChat-Account von den Torturen ihrer Ehe, davon dass sie von ihrem Ehemann geschlagen und mit dem Tode bedroht wurde. Ihre anklagende Botschaft löste in den sozialen Medien eine Diskussion über häusliche Gewalt aus. Wieder einmal. Ma ist ja kein Einzelfall. Es gibt keine aktuellen Statistiken über dieses weit verbreitete Phänomen. Eine Studie der All-China Women´s Foundation aus dem Jahre 2016 ergab, dass gegen 30 Prozent aller verheirateten Frauen eine Form von Gewalt angewendet wurde. Offiziell wird Gewalt in der Ehe verurteilt. So kommentierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua zwei Tage nach dem Hilfeschrei von Ma Jinyu: “One thing should be crystal clear: domestic violence against women has no place in China. Domestic violence is strictly prohibited by law in China.“

In der Tat: Seit März 2016 gibt es ein Gesetz gegen häusliche Gewalt. Aber – so die Australierin Sarah Gosper in einem Blog-Beitrag für „The China Story“: „The law has been poorly enforced.“ Oft sind die Behörden nicht willens den Fall zu verfolgen, ermutigen die Frauen zurückzukehren und das Problem quasi auszusitzen. In vielen Köpfen herrscht noch das Bild von der seit Jahren gepredigten harmonischen Familie vor. Zwist oder gar Gewalt in den Familien ist in diesem Denken nicht vorgesehen. „A lot of times you go to the police and you can’t even get a receipt confirming the victim has reported a crime,” sagt Lin Shuang, die an einem Report über häusliche Gewalt mitarbeitete, gegenüber Sixth Tone. Und sollte es doch mal zu einer Bestrafung kommen, sind die Sanktionen nicht gerade abschreckend: Bis zu 1000 Yuan Geldbuße und 15 Tage Gefängnis.

Weil viele Frauen bei den Behörden kein Gehör finden, gehen sie an die Öffentlichkeit, meist via soziale Medien. Wie Ma Jinyu. Solche Coming-Outs helfen, sagt die Aktivistin Lin Pu gegenüber BBC: “More victims are speaking up and getting more support from the public, but they have also been attacked and smeared a lot. At this stage people are just beginning to realise it´s a problem, so the debate is fierce.”

Unterstützung bekommen die meist anonymen Opfer inzwischen von bekannten Frauen. Die Comedian Yang Li thematisiert die häusliche Gewalt. Und die Sängerin Tan Weiwei widmete in ihrem neuen Album „3811“ dem Thema ein Lied mit dem Titel „Xiao Juan“ und stieß damit auf große Resonanz. Der Hashtag „Tan Weiweis Lieder sind so mutig“ wurde auf Weibo 340millionenfach geklickt. Die gepriesene Tan schrieb auf Weibo zurück: „Es ist nicht Mut. Es ist schlicht Verantwortung.“

No Comments Yet

Comments are closed