TRINKEN I Hat China ein Alkoholproblem?

    Kürzlich veranstaltete die Beijinger Filiale der Xiamen International Bank ein Bankett. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Das passiert in China jeden Abend millionenfach.  Trotzdem schaffte es dieses Gelage in die Schlagzeilen. Ein Mitarbeiter weigerte sich nämlich an den Trinkritualen zu beteiligen. Wenn der Vorgesetzte aufsteht, das Glas hebt und ganbei ruft oder schreit, gibt es kein Entrinnen. Das Glas muss gekippt werden – und zwar in die Kehle und nicht in die Blumenvase oder die Serviette (was erfahrene Nicht-Trinker durchaus unbemerkt schaffen). Besagter Mitarbeiter aber hob statt dem Glas die Stimme und sagte: Er trinke nicht. Es folgten erst Überredungen, dann Beschimpfungen und schließlich Schläge auf diverse Körperteile.

   Der Angriff auf den Anti-Alkoholiker landete in den sozialen und richtigen Medien. Die Mehrheit verteidigte ihn. Andere wiederum verteidigten die Trinksitten, schließlich werde schon seit frühen Kaiserzeiten gesoffen. Als Kronzeugen mussten Dichter des 8. Jahrhunderts herhalten, die nach ein paar Gläser Schnaps tolle Gedichte geschrieben hätten. Aber – argumentiert die Gegenpartei – damals wäre der Alkoholgehalt des Schnapses noch sehr niedrig gewesen (unter 20 Prozent), denn die Technik des Destillierens hätte erst im 12. Jahrhundert den Weg nach China gefunden.  Heute dagegen hat der Baijiu-Schnaps zwischen 35 und 60 Prozent. Und dieser wird nach wie vor sehr häufig getrunken – vor allem bei Banketten.

   Hat China also ein Alkoholproblem? Wenn man die Zahlen anschaut, muss man das bejahen. Wurden 1952 gerade mal 0,4 Liter reinen Alkohol, 1979 waren es schon 2,5 Liter und 2017 sieben Liter. Und wenn sie so weitermachen, fließen 2030 rund zehn Liter Alkohol durch die Kehlen eines jeden Chinesen. Anfang des Jahres brachte die Peking University, die Oxford University und die Chinese Academy of Medical Science eine Studie heraus. Ernüchterndes Ergebnis: Acht Prozent der Männer sind Problemtrinker.

    Und Corona hat das Problem eher verschärft, denn mangels Ausgang wurde in den vier Wänden gebechert. Eines der beliebtesten alkoholischen Getränke war ein Rotwein aus Valencia namens Caperucita Tinta. Drei Millionen Flaschen wurden bislang geköpft. Viele sollen ihn getrunken haben, weil die Flasche so ein schönes Etikett – ein roter Kapuzenmantel – hat.

No Comments Yet

Comments are closed