GRÜNE ZÜGE – bald auf dem Abstellgleis?

Wer heute über Bahnfahren in China redet, meint die Hochgeschwindigkeitszüge, die mit über 300 Kilometern pro Stunde durch die Landschaft donnern. Über 38 000 Kilometer umfasst inzwischen deren Netz. Meist geht es auf neuen Trassen schnurstracks gerade aus. Berge werden untertunnelt, Täler überbrückt. 

   Diese Züge sind das Gesicht des modernen China. Doch parallel dazu fahren immer noch andere Züge, die das alte China repräsentieren. Es sind die grünen Züge, die langsam und ohne großen Komfort durch die Gegend kurven und ruckeln. Man trifft sie noch, je weiter man im Westen unterwegs ist, je tiefer man in die Provinz fährt.  

     Meine allererste Bahnfahrt in China war in einem dieser grünen Züge, die in den 50er Jahren gebaut wurden. Von Guangzhou nach Shanghai. Für die 1400 Kilometer lange Strecke hatte der Fahrplan 36 Stunden vorgesehen. Es wurden zwei Stunden mehr. Ich hatte natürlich einen sogenannten Soft Sleeper, ein Vier-Bett-Abteil. Diese Abteile waren nur für Touristen und Kader vorgesehen. 

    Der Hobby-Fotograf Qian Haifeng ist seit 2006 unterwegs mit diesen grünen Zügen. 150 000 Kilometer hat er mit ihnen bislang zurückgelegt. Rund 200 000 Fotos sind bei diesen Fahrten entstanden. Es sind einzigartige Dokumente der Zeitgeschichte. Er sagte gegenüber dem Online-Magazin Sixth Tone: „The green trains are a metapher for the life of the underclass. They are too slow to keep up with the pace of modernization.” In diesen billigen Zügen, die oft bis auf den letzten Platz besetzt sind, trifft man Chinas Unterschicht, die Wanderarbeiter, die Bauern. Unzählige Stunden hat Qian, der im Hauptberuf Elektriker in einem Hotel in Wuxi ist, mit ihnen in den grünen Zügen verbracht und mit seiner Niko Fotos geschossen. Seine längste Reise dauerte 56 Stunden von Urumqi nach Xuzhou (Henan), auf der er heimreisende Baumwollpflücker begleitete.

    Qian, der inzwischen einige Fotografie-Preise gewonnen hat, bedauert, dass es immer weniger grüne Züge gibt. 80 seien noch unterwegs. Und wenn irgendwann keine mehr fahren, was macht er dann? „Dann schaue ich mir meine Fotos an.“

Info:

Ein Video und Fotos gibt es unter: https://www.sixthtone.com/news/1006089/life-on-the-slow-train-views-of-a-vanishing-china

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