STIMME AUS HONGKONG | Von Jürgen Kracht*

Die große Wetterlage

Das Reibungspotential mit dem Ausland hat eindeutig zugenommen; primär mit den USA, aber auch mit Europa. Wir stehen wohl am Anfang eines kalten Krieges. Dies wäre das zweite Mal in meiner Zeit im Chinageschäft. Denn bis 1972 beschränkte die USA den Handel mit China erheblich durch Handelsembargos. Nach gut 45 Jahre beidseitig vorteilhaften Wirtschaftsbeziehungen schwenkte die Stimmung in den USA um und daraus resultierten Zollbeschränkungen und Handelsembargos.

Die Ursache für diese Entwicklung sind die unterschiedlichen politischen und Wertesysteme und Chinas wirtschaftlicher Aufstieg. Es ist zu erwarten, dass die westlichen Länder zunehmend ihr Engagement mit China auf den Prüfstand stellen. Aber die Notwendigkeit sich mit China zu engagieren und gleichzeitig sich auch bestimmten Entwicklungen zu widersetzen, sollte im Mittelpunkt der Politik stehen. Das Risiko, bei diesen Aspekten zu überziehen und Porzellan zu zerschlagen, ist auf beiden Seiten beträchtlich. Dies gilt ins besonders für Deutschland, denn China ist ihr wichtigster Handelspartner.

Eine Konsequenz der jetzigen Entwicklung ist wohl eine Stärkung von Chinas Binnenwirtschaft und damit einhergehend verstärkte Unabhängigkeit vom Ausland und vielleicht sogar die (nochmalige) Abkapslung des Landes. Nachgeben aber wird China auf keinen Fall. Eher ist zu erwarten, dass die KP der Bevölkerung erklärt, dass es wieder notwendig ist chiku  (Bitterkeit) zu essen, dies mit der Erklärung ‚die herausfordernden Zeiten gemeinsam zu meistern‘.  In der sich veränderten Großwetterlage ist also noch vieles möglich …..

Das Wetter in Hongkong
Am 1. Juli 2020, also 23 Jahre nach der Rückgabe der ehemals britischen Kronkolonie Hong Kong an China, verfügte Peking ein Nationales Sicherheitsgesetz (NSL) für die Stadt. Zunächst wirkte dieses bis dahin geheime Gesetz wie ein Taifun Signal 8, also die höchste Warnstufe für Stürme.  

Zunächst zur Ausgangslage: Viele, mich eingeschlossen, waren schon länger der Meinung, dass die anhaltenden Gewalttätigkeiten, die Zerstörung von Eigentum und die gewaltsame Besetzung vom Parlament und Universitäten nicht vertretbar waren – ganz abgesehen davon, dass sie gesetzeswidrig sind. Und die Aktionen von schwarz vermummten Personen, die Benzinbomben warfen, waren auch eher ungeeignet als Lösungen für die Konfliktsituation. Dieser Konflikt hat seinen Ursprung in dem Wunsch nach mehr Demokratie – was auch gerechtfertigt ist. Aber leider hat die Regierung wenig zum Dialog und zu Lösungen beigetragen.

Hinzu kam das Verlangen eines (kleinen) Teils der Hongkong Bevölkerung nach Unabhängigkeit. Peking hatte Hong Kong bis Juni 2020 relativ viel Freiheit gelassen, wie dies auch im Rückgabevertrag mit Großbritannien vereinbart war. Ohne Zweifel war der Wunsch nach Selbständigkeit für die KP eine rote Linie, die aber in Hongkong ignoriert wurde. Ergänzend dazu war es sicher auch für Peking ein Gesichtsverlust als Demonstranten mit der britischen und US-Fahne schwenkend durch die Stadt marschierten und zeitgleich auch die chinesische Fahne verbrannten. Bereits in 1992 merkte Lee Kuan Yew (Singapurs Premier von 1959 bis 1990) in einem Interview dazu an, dass China Hongkong nur als ein wirtschaftliches Modell toleriert, aber nicht als politisches Modell. Denn wenn beide Ideen verschmelzt werden, würde Hongkong zur Bedrohung des Peking-Systems.

Somit ist es an sich nicht verwunderlich, dass es beim Überschreiten von der bekannten roten Linie früher oder später zu Gegenreaktionen kommt. Und Peking hat am 1. Juli 2020 hart geantwortet. Die westliche Welt lärmt zwar, aber bringt das was?  

Einige Beobachtungen

Politik

  • Viele Länder dieser Welt haben ein nationales Sicherheitsgesetz, die Schlüsselfrage ist jedoch die Anwendung des Gesetzes vor Ort. Chinas NSL Gesetz ist in Teilen drakonisch und auch mehrdeutig in der Auslegung, aber das war wohl beabsichtigt.
  • Gegenwärtig ist nicht klar, ob das Resultat des Gesetzes dem chinesischen Sprichwort ‘ lauter Donner, aber wenig Regen‘ entspricht. Aber einiges spricht dafür, dass die primäre Zielscheibe des Gesetzes die politischen Widersacher sein werden. Und hier gilt das Zitat eines Singapur Regierungsministers in der FT vom 6. Juli 2020 „Hier in Singapur verwenden wir zahnärztliche Instrumente. In China benutzen sie einen Vorschlaghammer. “
  • Großbritanniens Angebot, Hongkong-Chinesen eine Heimat zu bieten wird wahrscheinlich ein Fehlzünder. Denn es könnte sein, dass China den ‘Abtrünnigen’ die Rückreise nach Hongkong und China verwehrt – und das würde die Trennung von Familie, Verwandten und der alten Heimat bedeuten.
  • Trotz NSL bleiben ungelösten Herausforderungen wie die Spaltungen der Gesellschaft, Sozialkonflikte und die wirtschaftlichen Herausforderungen bestehen. Und dies könnte neue Unruhen bedeuten.

Wirtschaft

  • China will, dass das Konzept Ein Land, zwei Systeme in Form einer internationalen Finanz- und Wirtschaftsdrehscheibe bestehen bleibt. Denn dieser Knotenpunkt ist in Pekings Masterplan genau Hongkongs Rolle und ihr Hebel zur Erreichung der wirtschaftlichen Ziele.
  • Es spricht deshalb vieles dafür, dass die wirtschaftlichen Vorteile und Funktionen der Stadt nicht tangiert werden.  
  • Sicher hat Hongkongs Bedeutung im wirtschaftlichen Umfeld für China über die Jahre abgenommen. Aber der Finanzplatz wird wohl eher an Bedeutung gewinnen – dies zum Beispiel aufgrund der Signale aus Washington China Firmen den Zugang zu US Börsen zu erschweren. Dafür braucht China dann Hongkong, denn Shanghai ist nach innen gerichtet und wird wegen des Rechtssystems und der Nichtkonvertierbarkeit des RMB auf absehbare Zeit kein internationaler Finanzplatz werden.
  • Unternehmen sind weitgehend nicht betroffen, es sei denn sie werden politisch aktiv. Hongkongs Vorteil, Teil von China zu sein, aber mit einem anderen Wirtschafts- und Währungssystem, bleiben bestehen. Auch sind die rechtlichen Rahmenbedingungen des common law für Handel, Finanzen und das tägliche Leben (Kriminalität usw.) unverändert. Alles andere würde auch die Attraktivität der Stadt beeinträchtigen.
  • Hart ausgedrückt ist das Umfeld in Hongkong aus rechtlicher, wirtschaftlicher und auch persönlicher Sicht immer noch weitaus liberaler als in China.

Hongkong wurde schon mehrmals totgesagt. So lautete die Titelstory der Bild-Zeitung im Januar 1998 „Hongkong: Das schnelle Sterben einer Glitzerstadt“. Wer aber nicht auf diese Zeitung hören will, der ist wohl mit ‚Abwarten und Tee trinken‘ gut beraten.

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*Jürgen Kracht ist Gründer des Beratungsunternehmens Fiducia Management Consultants in Hongkong. Er lebt seit 1970 in Hongkong. Dieser Beitrag gibt die Meinung des Verfassers wieder.

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